Wie wir den Artenschutz stärken
An den Insektizid-Einsätzen auf den Äckern liegt der Schwund der Tagfalter nach Auffassung von Hermann Hacker, der auf Einladung von Bündnis 90/ Die Grünen und dem Bund Naturschutz, Kreisgruppe Lichtenfels, einen Vortrag zum Artenschutz in der Alten Vogtei in Burgkunstadt hielt, jedenfalls nicht.
Was Großschmetterlinge angeht, ist der Landkreis Lichtenfels der am besten untersuchte Landkreis in ganz Bayern. Hier konnten in den letzten 100 Jahren 360.000 Einzeldaten bezüglich der im Landkreis vorkommenden 916 Arten ausgewertet werden. Das liegt zum einen daran, dass der Referent, der mehr als 25 Jahre Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Entomologen war, in Staffelstein wohnt. Zum anderen konnte man auf die wissenschaftlichen Aufzeichnungen von Johannes Lukasch zurückgreifen, der die Fauna des Nördlichen Frankenjura von 1950 bis 1982 äußerst intensiv erforscht hat. Dies zu einer Zeit, in der Flora und Fauna weder durch Immissionen noch durch Klimawandel oder Intensivlandwirtschaft stärker beeinträchtigt waren. Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1930-er Jahre gab es zudem mit H. Och, O. Fuchs und W. Lütkemeyer drei besonders rührige Entomologen in Staffelstein, die die Entwicklung in Nordbayern genau dokumentiert haben.
Nach Hacker fielen die Forschungen an Großschmetterlingen ernüchternd aus: 39 Prozent der Arten sind in den vergangenen 100 Jahren stark rückläufig gewesen oder ausgestorben. Bei den Tagfaltern liegt der Artenrückgang sogar bei 71 Prozent. Aufgrund eines Vergleichs hochwertiger Flächen mit durchschnittlichen Ackerflächen bei Unterzettlitz wurde festgestellt, dass die von den Futterpflanzen her möglichen Insekten durchaus vorhanden sind. Zudem wurde eine erstaunliche Flugaktivität durch Überflieger festgestellt. Der Referent kommt zu dem Schluss: „Es sind weniger die Insektizide, die den Tagfaltern zusetzen.“ Es muss etwas anderes sein. Aus Sicht von Hacker führt die Stickstoffbelastung durch Ammoniak und Luftstickstoff, die generell überall zu hoch ist, maßgeblich zu Bestandsrückgängen bei den Tagfaltern, aber auch bei anderen Insekten. Stickstoffliebende Pflanzen, wie Brennessel, Löwenzahn oder Knoblauchsrauke verdrängen immer mehr Pflanzen, die Stickstoff meiden. Letztere wiederum sind die Nahrungsgrundlage für viele Tagfalter. Dass Deutschland aufgrund der massiven Überdüngung seit Jahren Bußgelder an die EU wegen Vertragsverletzung zahlen müsse, werde in der Bevölkerung kaum wahrgenommen, so der Vortragende.
Erschwerend komme hinzu, dass nur 0,29 Prozent der Fläche des Landkreises Lichtenfels Vollschutzgebiete, also Naturschutzgebiete seien. Zum Vergleich: der bayerische Durchschnitt liegt um ein Zehnfaches höher, also bei gut zwei Prozent: Und selbst dort, wo im Landkreis ein entsprechendes Schutzgebiet ausgewiesen ist, etwa am Staffelberg, gibt es so viele konkurrierende Nutzungen, dass der Naturschutz zu kurz komme. An dieser Stelle hakte Toni Reinhard vom Bund Naturschutz ein: „Mithilfe unserer Mitglieder und Förderer versuchen wir den dramatischen Artenschwund zu mildern. Wir erwerben naturschutzfachlich wertvolle Areale und versuchen, sie für unsere Nachkommen unbebaut zu erhalten.“ Leider konnte der BN das Gaabsweihergrundstück nicht erwerben. Der Gaabsweiher ist ein besonders wertvolles Naturschutzgebiet, nämlich einer der letzten Reliktauwälder am Obermain. Er wird bald dem Ausbau der B173 weichen müssen, was mit großem Bedauern seitens der Zuhörerschaft aufgenommen wurde.
Nach Ansicht von Hermann Hacker sollten – so wie es im Protokoll der Weltnaturschutzkonferenz 2022 in Montreal festgehalten ist – 30 Prozent der Land- und Meerfläche zum Schutz der Artenvielfalt von konkurrierenden Nutzungen freigehalten werden. Aktuell würden bei uns die Mindestarealflächen, die zu einer dauerhaften, natürlichen Bestandsentwicklung notwendig sind, nicht in Ansätzen erreicht. Vor diesem Hintergrund würden die teuren Pflegearbeiten zu einem „Artenzoo“ führen. Die Gelder seien sinnvoller in den Erwerb von Grundstücken investiert, die man sich selbst überlassen solle. Diese Haltung ist bei Naturschützern nicht unumstritten.
Angesprochen wurde auch das Abmähen von Begleitgrün an Straßen und Wegen gerade im Sommer, wenn kaum Blüten- und Futterpflanzen für Insekten zur Verfügung stehen. „Aus meiner Sicht gibt es bei uns zu wenig Saum- und Trittsteinbiotope. Besonders Hecken fallen zunehmend der Säge zum Opfer. Leider geht der Kreisbauhof mit schlechtem Beispiel voran. Da werden aus Kostengründen ganze Heckenreihen auf den Stock gesetzt und nicht nur wenige Meter“, monierte Landtagskandidatin Dr. Susann Freiburg. „Wir wünschen uns verstärkt ökologische Bauhofschulungen und haben auch einen entsprechenden Antrag gestellt.“ Generell ist es Zeit, mehr für die Erhaltung der Artenvielfalt zu tun. „Gerade in diesem Bereich sehe ich ein enormes Vollzugsdefizit. Leider sind den Naturschutzbehörden oftmals die Hände gebunden. Es ist Zeit, dass der Freistaat hier gegensteuert!“
Um die bitteren Tatbestände zu verdauen, wurde der Referent mit Süßem aus der Region verabschiedet.