„Deutsche Unternehmen trugen dazu bei, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu festigen.“ Das steht in einer Erklärung, die fast 50 deutsche Konzernvorstände vergangene Woche anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren veröffentlicht haben. In dieser Erklärung bekennen sie sich unmissverständlich zur Mitverantwortung der Wirtschaft für den Aufstieg Adolf Hitlers und dessen Verbrechen.
Hatte nicht auch Conrad Wagner eine Mitverantwortung an diesen Verbrechen? Ist es richtig, dass die Stadt Lichtenfels diesen Mann mit einem Straßennamen ehrt?
In der Beschlussvorlage heißt es: „Die Verwaltung hat sich nach dem Stand der Recherchen [Anm. beim Bezirksheimatpfleger] erkundigt. Aktuell liegen demnach keine eindeutigen Erkenntnisse vor, die zur Beratung und Beschlussfassung, ob eine Umbenennung der Conrad-Wagner-Straße angezeigt ist, vorgelegt werden können. Die Verwaltung empfiehlt daher, den Antrag abzulehnen.“ So eine Stellungnahme gut eineinhalb Jahre nach Antragstellung, zweieinhalb Jahre, nachdem uns am 19.10.2022 im Hauptausschuss die Überprüfung der Straßennamen von der Verwaltung versprochen wurde.
Kann das sein? Wir wissen nichts, und deshalb muss der Antrag abgelehnt werden? Frei nach dem Motto: Wir sehen nichts, deshalb kann es so bleiben, wie es ist…
Ich kann euch beruhigen: Es gibt Erkenntnisse über die Aktivitäten Conrad Wagners in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, und wer sie sehen will, der sieht sie auch.
1. Erkenntnis: Der Anklage im Spruchkammerverfahren zufolge war Conrad Wagner Mitglied der NSDAP, förderndes Mitglied der Allgemeinen SS, der NS-Fliegerkorps (NSFK), Rottenführer bei den Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK), er gehörte der Deutschen Arbeitsfront (DAF) an, dem Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA), der NS-Volkswohlfahrt (NSV).
2. Erkenntnis: Die Striwa, also das Unternehmen, das Konrad Wagner leitete, hat am 1. Mai 1938 das „Gau-Diplom für hervorragende Leistungen“ erhalten. Mit dieser Auszeichnung hat das Unternehmen auch geworben. Hintergrund war ein von der Deutschen Arbeitsfront ins Leben gerufener Leistungskampf der deutschen Betriebe. Man musste sich bewerben. Gefragt wurde zum Beispiel: „Gehören alle Gefolgschaftsmitglieder der DAF an?“ oder „Wie viele Gefolgschaftsmitglieder sind politische Leiter bzw. gehören aktiv der SA, SS, dem NSKK und NSFK an?“. Nochmal: Die Striwa hat dieses Gau-Diplom für hervorragende Leistungen erhalten.
3. Erkenntnis: Ende Oktober 1938 ist die jüdische Familie Bamberger aus ihrem Haus in der Kronacher Straße vertrieben worden. Wir alle kennen die Begebenheit mit Wilhelm Aumer, der Henriette Bamberger gewarnt hat, dass ich Pass in den nächsten Tagen eingezogen werden wird und sie besser schnellstmöglich Lichtenfels verlassen solle. Das ist Fakt. Ein glaubhafter Zeuge hat kurz nach dem Krieg die örtliche Polizei darauf hingewiesen, dass Conrad Wagner beim Überfall der Nazi-Schläger auf das Sonnenhaus in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 persönlich mitgewirkt und die Zerstörung gesteuert habe. Die Familie von Conrad Wagner hat das Haus dann erworben. Das ist auch Fakt. Im Wikipedia Eintrag steht, dass das Haus weit unter Wert weitergereicht wurde.
Also ist es doch Fakt, dass Conrad Wagner von der Vertreibung der Familie Bamberger profitiert hat. (Otto Bamberger war übrigens sozialdemokratischer Stadtratsabgeordneter gewesen.)
4. Erkenntnis: Es gibt Gott sei Dank auch Historiker, die schnell, fundiert und zuverlässig arbeiten. Christian Porzelt, Kreisheimatpfleger in Kronach, Mitarbeiter des jüdischen Museums in Augsburg, hat knapp eine halbe Stunde gebraucht, um mir folgendes schriftlich mitzuteilen:
„Mehrere wissenschaftliche Publikationen belegen, dass Conrad Wagner, bzw. die Firma „Striegel & Wagner“, Anfang der 1940er Jahre in der polnischen Stadt Zdunska Wola in der Nähe von Łódź eine Pelzfabrik gründete, „um die billigen Arbeitskräfte vor Ort auszunutzen.“ (Zitat Shmuel Krakowski: Das Todeslager Chełmno/Kulmhof: der Beginn der „Endlösung“, S. 93)
Die Firma „Striegel & Wagner“ war der größte im Ghetto von Zdunska Wola vorhandene Betrieb und beschäftigte rund 2.000 jüdische Zwangsarbeiter*innen. (Quelle: The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933 –1945: Volume II: Ghettos in German-Occupied Eastern Europe, S. 123.)”
1940 wurde die jüdische Bevölkerung in ein Ghetto gezwungen. In der Yad Vashem Enzyklopädie ist die Rede davon, dass die Juden innerhalb von drei Tagen umzuziehen mussten und dass man 8000 bis 9000 Menschen dort „zusammenpferchte“. Wir wissen alle, dass Hitler im Januar 1939 gesagt hat, im Kriegsfalle werden die Juden vernichtet werden. Diese Ankündigung hat er in die Tat umgesetzt. Das Ghetto von Zdunska Wola war ein Ort der Verfolgung und Zwangsarbeit. Die Striwa ließ in diesem Ghetto Fliegermonturen und Uniformen anfertigen. Die Produktion diente vor allem der deutschen Kriegsmaschinerie. Aus der Spruchkammerakte von Conrad Wagner geht hervor, dass er persönlich mindestens dreimal in Zdunska Wola war. Es ist also davon auszugehen, dass er die Verhältnisse vor Ort kannte und insbesondere die katastrophale Lage der jüdischen Bevölkerung.
5. Erkenntnis: Auch in Ozorkow hat die Striwa ein Zweigwerk unterhalten. Auch dort gab es ein Ghetto, in dem die Juden Zwangsarbeit leisten mussten für die Textilindustrie. (Quellen: Spruchkammerakte und Yad Vashem Enzykolpädie)
Aufgrund dieser Faktenlage ist für mich klar: Conrad Wagner war ein Kriegsgewinnler und nicht der Ehrenmann, nach dem eine Straße in der heutigen Zeit benannt sein sollte.
In der „Erklärung deutscher Unternehmer zum 08. Mai“ heißt es: „Auf ihren eigenen Vorteil bedacht, waren viele Unternehmen und ihre damaligen Akteure verstrickt. … diese Verbrechen mahnen uns, die Zerbrechlichkeit der Demokratie immer wieder zur erkennen. … Demokratie lebt vom Mitmachen und vom Widerspruch. Sie braucht Haltung und Mut. 1933 und danach waren zu viele still, haben weggesehen und geschwiegen. Daraus erwächst unsere Verantwortung – für die Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft.“
Die Frage ist: Sehen wir hier und heute hin?
Hier der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat der Stadt Lichtenfels zur Umbenennung der Conrad-Wagner-Straße, der in der Sitzung am Montag, 12. Mai 2025, auf der Tagesordnung stand. Nach meiner Rede stimmte das Gremium für eine Vertagung des Antrags:
Stadtratsfraktion Bündnis90/DieGrünen
Goldleite 6; 96215 Lichtenfels
An den
Ersten Bürgermeister der Stadt Lichtenfels
Herrn Andreas Hügerich
Marktplatz 1
96215 Lichtenfels 03.11.2023
Antrag der Stadtratsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Umbenennung der Conrad-Wagner-Straße
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Hügerich,
lieber Andreas, im Namen der Stadtratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen stelle ich folgenden
Antrag:
Die Stadt Lichtenfels benennt die Conrad-Wagner-Straße um.
Begründung:
Die Stadt Lichtenfels beschäftigt sich in vorbildlicher Weise mit der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus. Lichtenfels ist eine der wenigen Städte, in der die Verlegungen sogenannter „Stolpersteine“ von der Stadt initiiert werden. Vorbildlich ist auch das Projekt „13 Führerscheine“, das nicht nur vom Landkreis, sondern auch von der Stadt unterstützt und auf der städtischen Internet-Seite www.stolpersteine-lichtenfels.de fortgeführt wird. Die Opfer des Nationalsozialismus bleiben so im öffentlichen Bewusstsein.
Andererseits wird nach wie vor auch Tätern und Profiteuren ein ehrendes Andenken erwiesen. Am 19.10.2022 wurde im Hauptausschuss mitgeteilt, dass an einer entsprechenden Überprüfung der Straßennamen gearbeitet werde. Nachdem nun ein Jahr verstrichen ist, unterstützt unsere Fraktion diese Bestrebungen der Stadt mit dem vorliegenden Antrag.
In Lichtenfels ist aktuell eine Straße nach Conrad Wagner benannt, der zusammen mit seiner Frau Grete das Anwesen der Familie Bamberger in der Kronacher Straße 21 im Zuge der sogenannten Arisierung weit unter Wert erwarb.
Zur Rolle der Familie Wagner vor und während der NS-Diktatur zitieren wir Bezirksheimatpfleger Professor Dr. Günter Dippold aus einem Pressebericht (www.obermain.de: Das Sonnenhaus: Ein Stück deutschlandweiter Baugeschichte):
„Die Firma Wagner war 1921 gegründet worden als Fellhandlung. In den 1920-er Jahren hat die Firma ganz gewaltig expandiert, besonders aber nach der Machtergreifung der Nazis 1933, weil sie sich als Fabrik für Uniformen, Mäntel und Leder für Organisationen der
NSDAP ausdrücklich angeboten hat. Während man um 1930 etwa 150 Beschäftigte hatte, waren es 1937 dreimal so viele mit wachsender Tendenz. (…) Die Familie Wagner hat an den Uniformen für die NSDAP verdient und während des Krieges auch an Fliegermonturen. Und sie haben daran verdient, dass in einem polnischen Ghetto zwei Jahre lang 2000 Juden für minimalen Lohn für sie arbeiten mussten. Und sie beschäftigten während des Krieges russische Zwangsarbeiter und sogenannte Fremdarbeiter, die in Lichtenfels interniert waren.“
Des Weiteren belegen Zeugenaussagen, dass mehrere der erwähnten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während ihres Aufenthalts in Lichtenfels verstorben sind.
Vor diesem Hintergrund sehen wir keine Rechtfertigung, eines Kriegsgewinnlers wie Conrad Wagner mit einem Straßennamen zu gedenken.
Entsprechend dem Beschluss des Hauptausschusses vom 08. Januar 1997 schlagen wir vor, für die Neubenennung der Straße eine Frau zu berücksichtigen.
Hier kommt Helene Sievers in Betracht, eine Modistin, die für die SPD von 1922 bis 1929 als erste Frau im Lichtenfelser Stadtrat saß. Helene Sievers hat auch in den 30er Jahren noch engeren Kontakt zu jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern gehalten, weshalb sie selbst mit Repressionen rechnen musste.
Besser erforscht ist das Leben von Ernestine Reuter, Oberfrankens erster Frauenrechtlerin.
Ernestine Reuter kam am 31.10.1870 als viertes von sieben Kindern des jüdischen Kaufmanns Abraham Reuter und seiner Frau Adelheid in Horb am Main zur Welt. Sie wuchs in Hochstadt am Main auf, wo ihr Vater als Kaufmann tätig war. Nach seinem Tod führte sie ab 1904 dessen Schnittwarengeschäft weiter.
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war sie nicht nur Mitglied im „Bayerischen Frauenverein“ des Roten Kreuzes, einem Wohltätigkeitsverein, in dessen Ortsgruppe sie 1911 den Vorsitz übernahm. Sie engagierte sich außerdem im „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“. Auf ihre Initiative hin wurde im April 1910 in Lichtenfels eine Ortsgruppe gegründet, deren Vorsitz sie übernahm. Unter anderem organisierte sie Vortragsveranstaltungen in Lichtenfels, auf denen führende Frauenrechtlerinnen wie Lida Heymann, Anita Augspurg aber auch die englische Suffragette Elinor Tyson Wolff sprachen.
Während des Ersten Weltkriegs leitete sie zeitweise ein Lazarett und kümmerte sich dort, aber auch in ihren eigenen Räumlichkeiten, um verwundete Soldaten. Für ihr Engagement in der freiwilligen Krankenpflege wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
In den 1920er Jahren war sie Mitglied der „Women’s International League for Peace and Freedom“ und reiste zu Kongressen ins Ausland.
Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ wurde sie aufgrund ihrer Herkunft und ihrer politischen Überzeugungen verfolgt. Seit Ende des Jahres 1933 unterzog sie sich wegen eines Nervenleidens in Homburg einer medizinischen Behandlung. Dort nahm sie sich im April 1934 das Leben. Ernestine Reuter wurde auf dem jüdischen Friedhof Burgkunstadt begraben.
Ernestine Reuter setzte sich in Lichtenfels und weit darüber hinaus für Frieden und Völkerverständigung ein, für Demokratisierung, für Bildung und für die Gleichberechtigung von Frauen. Sie wäre aufgrund ihrer persönlichen Verdienste eine ideale Namenspatronin.
DECKUNGSVORSCHLAG:
6300.5280 für die Anschaffung des Straßenschildes. Der Beschluss ist im Übrigen nicht haushaltswirksam.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Susann Freiburg
Fraktionsvorsitzende